Cerro Standhardt – Exocet

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Cerro Standhardt (2700 m) – Exocet WI5+, 5+, 500 m, erstbegangen von Jim Bridwell – Greg Smith – Joy Smith (US) am 1.1988. Begangen von uns am 20.12.2015

Ein gut 15 km langer Weg führte uns zu Beginn durch üppige, wunderschön knorrige Südbuchenwälder und durch dürres Gestrüpp mit ständig beeindruckender Aussicht (vorausgesetzt das Wetter wäre gut gewesen) auf die Riesen dieser Gebirgskette (Cerro Torre, Fitz Roy,…). Es geht vorbei am Campo Agostini, über die Tyroleen Travers (eine Seilrutsche über den Gletscherbach), vorbei am Lago Torre und von nun fortan in immer beschissener werdendes Moränengelände. Laut Fuller-Parabel (eine Formel in der Zementwirtschaft) gilt für jeden Feststoff eine maximale Schüttungssteilheilt der Flanken, wenn man z.B. Sand aufschüttet.
Diese Steilheit beträgt bei Moränenhängen meist 45-50 Grad, die sich schlecht zum Gehen, aber wunderbar zum Ausrutschen und im Falles eines Sturzes zum Beschleunigen nutzen lässt. Mit den schweren Rucksäcken eierten wir unseren ersten patagonischen Moränentanz, ein Weiterer wird noch folgen.

 

Erfreut erreichten wir den blanken und gut zu überquerenden Gletscher und in weiterer Folge nach gesamt 7 h von El Chalten das an der blockigen Seitenmoräne befindliche Campo Niponino (1000 m), unser Lager für die nächsten 1,1 Nächte. Es war zu diesem Zeitpunkt genau 22 Uhr. Nach einer Jausn und dem Zeltaufbauen legten wir uns um 23 Uhr in unsere Schlafsäcke.

Würden wir die Exocet gehen wollen, eine unserer Tourenideen, sollten wir um 24 Uhr aufstehen. Die mit den 23 Jahren zurückliegenden und verkommenen mathematischen Volksschulrechengrundkenntnissen gerade noch durchführbare Subtraktion 23-24 ergab 1 h ausgeschrieben und somit eine Stunde Schlaf respektive Rast. Durchwegs von dieser Zahl desillusioniert überlegten wir unser weiteres Vorgehen. Wir stellten zur vertagenden Entscheidungsfindung den Wecker auf 24 Uhr. Das Piepen des Weckers gefolgt vom Sausen des Windes an den Zeltstangen weckte unsere sündigen Köpfe aus diesem dösenden Zustand.

Intuitiv und im Sinne der eigenen Komfortzone war uns beiden ganz klar – Licht aus, zurück in die warmen Schlafsäcke und weiterschlafen. Wäre da nicht das leise, aber konsequent lauter werdende Hämmern der rationalen Überlegungen in unseren Köpfen gekommen, so wären wir bestimmt liegen geblieben. Es nur aus momentaner Antriebslosigkeit unversucht zu lassen war nicht in meinem Sinne und so entschieden wir uns, bis zum Col Standhardt zu gehen und uns die Müdigkeit aus den Knochen blasen zu lassen. Unsere Entscheidung fiel in diesem Moment so entschlossen, so unwiderruflich und klar wie der Stundenzeiger unserer Uhr auf die Zahl Eins fiel.

Einer digitalen Uhr wohl gemerkt 😉 und über die Entschlossenheit ließe sich diskutieren!

Die Exocet ist eine sehr bekannte, beliebte Eisroute und führt bis auf den einzigartigen Mushroom des Cerro Standhardts. Der markanteste Abschnitt dieser Tour sind 6 Seillängen in einem engen und am Grund vereisten 80-90 Grad steilem Gully, der durch eine massive Granitwand zieht.

Nach diesen zuvor geschilderten, anfänglich inneren motivatorischen Unstimmigkeiten suchten wir uns mit etwas Mondlicht und dem Stirnlampenschein einen Weg durch das Spaltenlabyrinth zum Col Standhardt (2200 m). Der Schnee war nicht durchgängig unnachgiebig, weshalb es doch einiges an Spurarbeit bei mäßigem Wind gab. Kurz vor dem Col hörten wir schon das bedrohliche Heulen und Pfeifen des Windes, welcher vom Innlandeis kommend über die Scharte schoss.

In Vorahnung zogen wir uns warm an und rüsteten uns für die erste Mixedlänge, bevor man in den eigentlichen Gully kommt. Ab der Kante blies uns der Wind wirklich recht ordentlich entgegen und der Fels zeigte sich anspruchsvoll vereist und in abweisende Kälte gehüllt. Durchwegs nicht ganz ohne zu tricksen, ablassen und outlowern konnten wir diesen Abschnitt meistern und staunten nicht schlecht ums Eck in die kerzengerade emporziehende Eisrinne, dem Kernstück dieser Tour.

 

Die durch den Wind ständig hinabfallenden Spindrifts konnten uns zwar durchnässen und empfindlich demoralisieren, zur Umkehr brachten sie uns jedoch nicht. An der Schulter des Standhardt angekommen begann der Wind wieder aus vollen Lungenflügeln zu blasen und das Zurück-Abseilen in das windgeschützte Lee war nur allzu verlockend.

Lag es nun an dem durchaus zu hinterfragende Spruch/Grund „A Bergtour ohne Gipfl is wia a Mandei ohne Zipfl“ oder einfach an der Lust, sich zu schinden, wir wussten es nicht und so kletterten wir jedenfalls sturmgebeutelt weiter, um auch noch den letzten Eisaufschwung, einen 30 m hohen Eispilz, überglücklich und von Endorphinen berauscht zu besteigen.

In absolut surrealer Kulisse und für Patagonien typisch von Anraum umgeben stehen wir auf dem 2 Quadratmeter großen Gipfelpilz und können sogar für wenige Sekunden einen Sonnenstrahl und einen Blick in die Nordwand des nebenstehenden Punta Heron erhaschen, bevor wir wieder in der totalen Wolkenbrühe versumpften.

Auch auf unserem zweiten Gipfel stellte sich somit keine Liegestuhlgenussstimmung ein und so ließ ich Stefan, alsbald er oben ankam, auch ehest möglich wieder hinab und wir kletterten die Meter zurück. Ab hier begann das Abseilen zu unseren Stöcken, die wir am Gletscher deponiert hatten. Die leichte Tageserwärmung lies ein Gemisch aus Schneematsch, Eis und Wasser an unseren Seilen haften und vereitelter glücklicherweise nur einmal das Abziehen des Seils, was uns zu einer Extraeinlage Strafprusiken zwang. Zügig ging es über Abseilstände mit mindermäßiger Qualität hinab, an denen ich nur umso mehr hoffte, nicht ungewollt zu zügig den Gletscher zu erreichen.

Aufgrund der Spindrifts und der nassen Seilen stark durchnässt und ausgekühlt erwärmten wir uns von nun an Schritt für Schritt, während wir durch den aufgesulzten Gletscher Talwärts stiegen.

Bei Dunkelheit im Niponino Lager angekommen machten wir uns eine Suppe und legten uns in die Schlafsäcke mit der matten Freude, nach diesem nahezu nonstop 33 h Singlepush diesmal länger als eine Stunde liegenbleiben zu können.

Um die Mittagszeit des nächsten Tages wurden wir mit Sonnenschein und wundervollem Panorama auf Fitz Roy, Poincenot, Raphael,… belohnt und genossen die wärmenden Strahlen der Sonne in diesem Meer aus Granitblöcken.

Der Rückweg nach Chalten ist wie so oft die Kür all der Patagonientouren und muss mit Haltung tragend hinter sich gebracht werden.

HIER gesamter Patagonien Bericht