Liebe leben – Ein Plädoyer

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Vorbemerkung: Dieser etwas intern-kontrovers-diskutierte Text ist an Ostern geschrieben worden, dann wurde er fast vergessen. Eine Erinnerung aus den philosophischen Corona-Lange-Weilen…

Ostern 2020. Corona hat uns das Hamsterrad zerbrochen und wir gewöhnen uns wie es mir scheint gerade so langsam an diesen anderen Alltag. Die Straßen sind noch immer leergefegt, fast schon geisterhaft mutet die sonst so dicht gedrängte Innenstadt an, blauer Himmel, strahlender Sonnenschein, frische Luft. Ach, so schön. Es lädt zum Innehalten ein. Ich atme tief ein. Inspiration. Aber irgendwas fehlt. Es liegt so eine Sehnsucht in der Luft. Wir erlauben uns zwar soziale Nähe, aber ein Zollstock ist immer dabei. Irgendwie vermisse ich dann doch die Freiheit im Kontakt. Ich vermisse die spielenden Kinder, die unbefangenen Treffen mit Freund*innen, ja, auch meine Arbeit mit Menschen…

 

Wo Sehnsucht ist, da ist auch Liebe.

 

Der Austausch mit vielen bekannten Gesichtern, die ich beim Spaziergehen getroffen habe, gibt mir jedoch auch den Eindruck, dass Corona neben all der Angst und Unsicherheit ebenso viele schöne Seiten hat. Das intensive soziale Miteinander mit den Nächsten, mehr Draußen-Sein in der Natur, dass Alleine-Sein mit sich selbst, das Füreinander da sein und gegenseitige helfen, die vielen langen Gespräche, aber auch, produktives Arbeiten ohne Produktivitätsdruck…

Corona hat uns viele Gelegenheiten geschenkt, wieder bewusster und gefühlvoller zu sein. Wo Gefühle sind, da ist auch Liebe im Spiel. Ich meine jetzt nicht unbedingt die romantische Liebe, sondern eher allgemein eine positive Energie, die in Beziehungen wirkt. Zu jedem Menschen, zu jedem Gegenstand, zu jedem Phänomen können wir Liebe empfinden, so die These.

 

„Distanz provoziert automatisch Fragen nach Nähe!“

 

Eigentlich beschreibt Physical Distancing den aktuellen Modus besser als Social Distancing. Nähe und Liebe, Beziehungen sind nämlich gerade jetzt ein großes Thema. Also auch eine wahrhaftig schöne Sache, sich nun mehr mit Liebe beschäftigen zu dürfen. Meiner Meinung nach wenden wir uns viel zu selten zu unseren Gefühlen hin. Wie auch, bei so vielen Ablenkungen und all den Geschäftigkeiten sonst… (das ist ein anderes Thema). Ich habe immerhin das große Privileg, mir Zeit selbstbestimmt nehmen zu können. Ich muss gerade nicht an einer Supermarktkasse sitzen, Patienten und Bedürftige pflegen, unzählige Überstunden durch störrisches Home-Schooling oder zehnstündige Videochat-Sitzungen via HomeOffice machen müssen, oder alleine in einer Wohnung sitzen. Ich bin dafür dankbar und demütig zugleich. Viele haben das Glück (oder Pech), dass nun durch Corona Gewohnheiten ziemlich aufgebrochen wurden. Ich sehe Krise immer als Chance der Veränderung. Ich stelle mir gerne vor, dass dadurch nun mehr Raum entstanden ist, die Energie auf Dinge zu lenken, die vorher im Alltag versumpft sind. Oder noch nicht entdeckt worden sind. Oder die schon fast vergessen waren.

 

„Wir könnten die Gelegenheit nutzen, uns neu zu verlieben.“

 

Ich habe eine Hoffnung auf der individuellen Ebene. Ich hoffe, dass uns vielleicht gerade in einer Krise wie dieser noch einmal mehr bewusster wird, was wirklich lebenswert, als wichtig erscheint im Leben ist. Meine Utopie ist, dass wir uns von der Liebe und nicht von der Angst leiten lassen sollten. Mir ist klar, dass die Zeit gerade super schwierig ist für viele Menschen, all die existenziellen Ängste, Trauer, Überforderungen. Ich stelle mir aber nur die Frage: Was kann Kraft und Motivation geben? Auch für danach, wenn wieder das System versucht, hinaufzufahren. Liebe ist eine nachhaltige und solidarische Kraftquelle. Wenn wir da hinspüren, wo wir Schmetterlinge flattern hören, dann wird gewiss vieles einfacher werden. Zum Beispiel wenn wir uns bewusst werden, was sich wirklich gut bei unserer Arbeit anfühlt? Und was nicht? Oder wenn wir uns (weiter) vornehmen, vernachlässigten Beziehungen wieder mehr Leben einzuhauchen, Liebe zu schenken und anzunehmen. Sich zu fragen, was wirklich wichtig im Leben ist, mehr mit sich selbst zu beschäftigen, dankbar sein für das, was wir haben. Mein Glaube an die Geschäftsbeziehungen und anderen wirtschaftlichen Abhängigkeiten hat auf jedenfall an Kraft verloren. Zu fragil, zu instabil, eigentlich, keine gutes Gefühl für ein solides Lebensfundament. Bei mir schafft Wettbewerb wenig Zufriedenheit. Wesentlich mehr Kraft gibt mir gerade die zauberhafte Energie der Natur, die Ruhe, meine Liebsten, meine Gedanken. Dahin lenke ich meine Liebe und es fühlt sich gut an. Ich frage mich, wie würde sich die gesellschaftliche Zukunft entwickeln, wenn wir uns alle mehr Zeit dem Gefühl der Liebe widmen? Naive Träumerei… egal: Ich plädiere für den Post-Lockdown-Vorsatz, die lebenswerten Beziehungen zu pflegen, unsere Umwelt viel achtsamer wahrzunehmen, zu spüren, um eine tiefere Verbindung zur Natur, zu unserem Planeten eingehen zu können*. Mehr Liebe leben. Zur Natur. Zu Anderen und zu sich selbst. 

Die Frage, was sich vielleicht die Eine oder der Andere nun stellen wird: Was hat eigentlich Freiluftleben mit Liebe zu tun?

 

„Freiluftleben heißt auch, Freiluft lieben.“

 

Ich glaube, wir finden Liebe überall im Menschsein. Zum Beispiel Leidenschaft, sicherlich ein Ausdruck von Liebe. Wir lieben das Draußen-Sein. Wir lieben die Natur. Wir lieben die Berge. Wir lieben unseren Sport. Wir lieben das Miteinander. Wenn ich etwas authentisch und mit Begeisterung teilen möchte, dann werde ich auch Liebe dafür empfinden müssen. Aus diesem Blickwinkel sind all jene, die Menschen auf Wegen begleiten wie z.B. wir von Freiluftleben, auch im Auftrag der Liebe unterwegs! In unseren Programmen haben wir ja nicht nur den Anspruch, ein Gipfelerlebnis zu ermöglichen oder jmd Spaltenrettung beizubringen, sondern doch vielmehr, Beziehungen im Miteinander, zu sich selbst und zur Natur zu stärken. Das Anliegen ist immer, dir die Möglichkeit zu geben, eine Beziehung zu dem aufzubauen, was wir lieben. Dieser Gedanke ist Kern unserer Philosophie (siehe auch Schau uns in die Karten).

Berg Heil? Nö, Liebe! Eine beliebte Floskel am Gipfel ist ja das beliebte “Berg Heil”: Gratulation zur überstandenen Gefahr=Angst und Respekt vor der Leistung. Hat mir nie wirklich gefallen, hat so etwas Heroisches und ist zudem behaftet von der Geschichte. Wie wäre es vielleicht alternativ mit “Liebe!”? Wie schön, das wir tun können, was wir lieben! Danke! Das wäre ein Statement. (Danke @Wolfgang Reidlinger für die Inspiration)

 

Corona und ein Ausblick

Ich stelle mir persönlich gerade grundsätzliche Fragen: Wie vertretbar ist es in der aktuellen Situation, dass wir unseren Luxusartikel “Bergsport”  bald wieder anbieten werden? Wie können wir die Gratwanderung gestalten, einerseits wieder ein Einkommen lukrieren zu können und andererseits solidarisch und verantwortungsvoll den Weg aus der Krise mitzugestalten? Viele Menschen werden nicht das Privileg haben, einfach weiterzutun wie vorher. Wollen wir das Vorher?

Der harte Lockdown in der Wirtschaft wird nun gelockert werden, sukzessive werden wir daran arbeiten, den “alten” Alltag wieder herzustellen, die Krise so schnell wie möglich zu vergessen. Endlich wieder Leute treffen, wieder klettern, wieder “normal” arbeiten, wieder shoppen, juhu! Wir werden wieder reisen, wir werden wieder gesellig werden, wir werden wieder Hochtourenkurse durchführen können. Vielleicht zu voreilig, vielleicht schon längst überfällig. Ich traue mir nicht, eine Meinung zu äußern, da ich keine Ahnung von Viren und Pandemien habe. Eine globale soziale Krise wird wohl aber unvermeidlich sein. Wir sind so eingeflochten in eine globalisierte Welt, hierfür haben somit auch wir Verantwortung zu tragen. Die Zukunft wir uns als Gesellschaft vor vielen weiteren Herausforderungen stellen wird, das ist gewiss.

Unser Handlungsspielraum wird sich in nächster Zeit endlich ändern.

Es wäre naiv zu glauben, dass in Österreich das Thema Corona bald vorbei ist. Wir verdrängen schnell, dass es eine keine nationale, sondern eine weltweite Krise ist. Wir können uns nicht einfach abzuschotten und schnell wieder business as usual heile Welt spielen. Auch wenn nationaler Tourismus wohl einen Boom erleben wird, wenn es nicht nach hinten losgeht. Es braucht aber auch Solidarität in einer europäischen Gemeinschaft, in einer globalisierten Welt, den Mut zu offenen Grenzen. Ein Aufschrei, wenn unsere Rechte beschränkt werden, die Demokratie ausgehebelt wird. Die Effekte werden langfristig wirken. Wir werden sehen, mit welchen gesundheitlichen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und individuellen Folgen wir bald leben müssen. Wenn wir ehrlich sind, haben wir noch immer keine genaue Ahnung, was wir tun können. Vielleicht das, was wir tun, aus Überzeugung und Liebe machen…

Danke Timo und Martin für das kritische Lektorat.

*Ist nicht etwa eine CO2-Kompensation mit gelebter Liebe zur Umwelt wesentlich nachhaltiger? Mike Berners-Lee sieht z.B. die Fähigkeit einer „globalen Empathie“ als einen Weg, der Klimakrise zu begegnen…

Foto: Herzen sehen… ein Herzstein im Sonnenlicht, ein Innehalten am Berg.